Andreas von Rétyi
Vor dem schweren Beben, das Japan am 11. März erschütterte, stiegen die Temperaturen in der irdischen Hochatmosphäre deutlich an. Dies berichtet jetzt eine amerikanische Forschergruppe. Demnach zeigen Messdaten eine merkliche Erhöhung der Infrarotstrahlung über dem Epizentrum. Die Ursachen gelten als noch nicht bekannt, einige Theorien gehen davon aus, dass tektonische Veränderungen sich auch auf die Ionosphäre auswirken. Und wenn es genau umgekehrt ist?
Was Wissenschaftler jetzt bestätigen, lässt aufhorchen: In den Tagen vor dem katastrophalen Tohoku-Beben, das die Stärke 9 erreichte, zeigte sich eine eklatante Temperaturerhöhung in der Ionosphäre. Die Maximalwerte seien wenige Stunden vor dem Beben erreicht gewesen, so erklärt Dimitar Ouzounov vom NASA-Goddard-Raumflugzentrum.
Bereits im vergangenen Jahr konnten mithilfe des DEMETER-Satelliten ähnliche Veränderungen in der Hochatmosphäre ermittelt werden. Damals zeigte sich auch ein merklicher Anstieg extrem niederfrequenter Radiosignale kurz vor dem ebenfalls heftigen Beben in Haiti. Schon länger bekannt ist das Phänomen einer Lithosphären-Atmosphären-Ionosphären-Kopplung. Demnach bewirken tektonische Prozesse aus physikalisch allerdings nicht geklärten Gründen eine Aufheizung der Atmosphäre. In Verdacht steht dabei auch der Austritt von Radongas. Die Folge: Eine Ionisierung der Luft in der Bebenregion, wodurch es schließlich zur umfangreichen Kondensation von Wasser kommen soll. Da Kondensationsreaktionen Wärme freisetzen, könnte die atmosphärische Veränderung damit erklärt sein, meinen einige Forscher. Doch als nachgewiesen gilt der Vorgang nicht. Überhaupt wird auch die Existenz einer solchen Kopplung längst nicht von allen Geophysikern anerkannt. So kommentiert der neuseeländische Physiker Craig J. Rodger dieses Phänomen sehr kritisch und erklärt, der Zusammenhang werde nur in kleinen Fallstudien festgestellt, nicht aber in statistischen Analysen, was darauf hindeute, »dass die vorgeschlagene Kopplung gar nicht existiert«. Rodger bezieht sich dabei auf eine Veröffentlichung des japanischen Wissenschaftlers M. Kamogawa, die 2006 im Magazin Eos erschienen ist. Kamogawa selbst weist allerdings auf den Umstand hin, dass die statistische Situation allein angesichts der – glücklicherweise – relativ seltenen Zahl sehr starker Beben nicht ausreichend geklärt sei. Im selben Satz aber macht er auch klar, dass aktuelle, sehr wesentliche Ergebnisse weitere Studien zu jener Kopplung anregen dürften.
Kamogawa wie auch andere Forscher haben über die Zeit einige Prozesse angesprochen, die möglicherweise für eine enge Verbindung zwischen irdischer »Gesteinssphäre« und Hochatmosphäre sorgen. Eine Gruppe russischer und deutscher Physiker listet ebenfalls eine ganze Reihe denkbarer Konzepte auf. Die Forscher präsentierten diese Möglichkeiten 2007 in einer Arbeit zu aktuellen physikalischen Modellen einer Lithosphären-Atmosphären-Ionosphären-Kopplung. Einleitend erinnern sie an die erste Erwähnung einer Änderung ionosphärischer Parameter: Im Jahr 1965 berichteten K. Davies und D. M. Baker, wie sich die atmosphärischen Bedingungen beim sehr starken Alaska-Erdbeben 1964 geändert hatten. Es war übrigens die Zeit, in der Nicholas Constantine Christofilos, ein griechisch-amerikanischer Physiker, grundlegende Arbeiten zu extrem niederfrequenten Wellen (ELF) leistete. Er legte nahe, sie zur Langstrecken-Kommunikation für Atom-U-Boote zu nutzen. Christofilos war Mitglied der JASON-Gruppe (JASON Defense Advisory Group), bestehend aus jungen Wissenschaftlern, die zur Beratung der Regierung installiert und durch die MITRE Corporation als Pentagon-Kontraktor verwaltet wurde. Die Konzepte von Christofilos führten nach Weiterentwicklung durch seinen Kollegen und Freund Bernard Eastlund schließlich zum mittlerweile berühmt-berüchtigten HAARP-Projekt in Gakona, Alaska …
Nicht zuletzt stellt sich in diesem Kontext tatsächlich zunehmend die Frage, inwieweit umgekehrt eine atmosphärische Anregung zum Auslöser von Beben werden kann, wie unter anderem auch HAARP-Kritiker erklären. Immerhin, HAARP, angeblich ein rein ziviles und offenes Forschungsprojekt, ist eine Anlage, durch die ganz gezielt elektromagnetische Strahlung in die Ionosphäre geschickt wird, um sie aufzuheizen. Wenn die Kopplung besteht, kann sie dann in beide Richtungen wirken? Dass Erdbeben und Hochatmosphäre tatsächlich in einer physikalischen Wechselbeziehung zueinander stehen, das zumindest unterstreichen jetzt die neuen Erkenntnisse.
Quelle:Kopp Verlag